Bei den Daten zu meiner Ururgroßmutter Henriette Moritz, geborene Herse bin ich jahrelang über Ungereimtheiten in den Daten gestolpert, bis ich endlich eine Erklärung fand. Am meisten wunderte ich mich aber darüber, dass diese Unstimmigkeiten niemand anderem aus meiner Familie aufgefallen sind. Wurden kirchliche Dokumente für etwas Unfehlbares gehalten und wurde davon ausgegangen, dass, wenn man etwas nicht verstand, es wohl an einem selbst liegen müsse?
Als mein Großvater Walter Moritz im Jahre 1941 im Pfarramt Alt Rüdnitz die Registerauszüge für seine Vorfahren anforderte, saß im Pfarramt gerade eine Vertretung des Pastors, die mit „i.V.“ unterzeichnete. Vermutlich war der amtierende Pastor an der Front oder er musste mehrere Gemeinden gleichzeitig versorgen. Es stellte sich heraus, dass einige Informationen auf den Registerauszügen nicht ganz korrekt sein konnten. Auf dem Taufregisterauszug aus Alt Rüdnitz steht der Name „Henriette Caroline Herse, geb. 10.12.1829“; jedoch auf der Sterbeurkunde, ausgestellt in Brosowo, Kreis Kulm, Westpreußen, steht „Henriette Moritz, geb. Herse, geboren 4. Februar 1827 in Alt Lietzen“. In meiner Familie wurde von meiner Ururgroßmutter auch immer von Henriette Caroline gesprochen. Niemandem waren diese Ungereimtheiten aufgefallen. Doch welches Dokument war denn nun das Richtige?
Da ich im Jahre 2005, als ich mit der Ahnenforschung anfing, selbst noch ziemlich ahnungslos war, ging ich davon aus, dass alles seine Richtigkeit hätte, wenn das Ahnenprogramm empfiehlt, den Stammbaum online zu stellen. Also veröffentlichte ich die überlieferten Daten auf ancestry.de. Das war mit Sicherheit ein Fehler. Da es nämlich aus Alt Rüdnitz keine Kirchenbücher mehr gibt, sind die Registerauszüge meines Großvaters sehr wertvolle Dokumente. Die Daten auf ancestry wurden nach und nach fröhlich hin und her kopiert und in die verschiedensten family trees übernommen. Immer ohne Quellenangaben und oft mit immer neuen Fehlern. Warum liest niemand genau, was wirklich auf einem Dokument steht? Am Ende wusste jedenfalls niemand mehr, woher die Daten kamen und viele familytrees enthielten abenteuerliche Kombinationen, die nach Adam Riese gar nicht möglich sein konnten. Eine Weile habe ich versucht, die Ersteller der familytrees anzuschreiben und sie um die Korrektur der falschen Daten zu bitten, doch da ich so gut wie nie eine Antwort bekam, habe ich es aufgegeben. Zum Glück fragt ancestry inzwischen nach den Quellenangaben und stellt selbst eine riesige Auswahl an Dokumenten zur Verfügung. Doch eine Pflicht zur Quellenangabe gibt es nicht. Ja, oft wird einfach ancestry selbst als Quelle angegeben. Das stimmt natürlich nicht, denn ancestry ist keine Quelle, sondern eine Plattform.
Ein Gutes hatte ancestry aber dann doch. Eines Tages erhielt ich eine Nachricht von einem Ahnenforscher, der selbst ein Nachkomme von Caroline Herse ist. Er wies mich darauf hin, dass es sich um zwei Schwestern handeln müsse. Das war die Lösung! Vielen Dank!
Weil auf der Sterbeurkunde meiner Ururgroßmutter als Geburtsort „Alt Lietzen“ stand, dachte ich zunächst, das sei nur undeutlich ausgesprochen gewesen und müsse eigentlich „Alt Lietzegöricke“ heißen. Ich habe auch irgendwo einmal gelesen, dass die Dorfbewohner von Alt Lietzegöricke ihr Dorf liebevoll „Lietze“ genannt haben sollen. Vermutlich ist das auch damals so verstanden worden, als die Daten ins KB eingetragen worden sind. Denn auf den Alt Rüdnitzer Registerauszügen steht zu den Eltern:
Vater: Johann Michael Herse, Invalide, Handelsmann, geb. 16.5.1777 in Alt Lietzegöricke.
Mutter: Friederike Krause, geb. 4.3.1798 in Niederwutzen
Lange habe ich in Alt Lietzegöricke geforscht, bis ich von erfahrenen Ahnenforschen relevante Informationen bekam und feststellen musste, dass Johann Michael Herse irgendwie doch nicht aus Alt Lietzegöricke stammen kann. Es gab dort zwar eine Fischerfamilie Herse (Hufenklassifikation von 1718), aber da passte er nicht hinein.
Ich fand die notwendigen Informationen in der Abschrift des Kirchenbuches von Altglietzen.
Johann Michael Herse, Materialwarenhändler und Hanne Friederike Krause, geb. 4.2.1798 in Niederwutzen
Kinder:
1. Carl Ludwig Herse, geb. 6.11.1825 in Alt Glietzen
2. Henriette Herse, geb. 4.2.1827 in Alt Glietzen
Die jüngste Tochter Caroline ist in Alt Rüdnitz geboren:
3. Caroline Herse, geb. 30.12.1829 in Alt Rüdnitz (Quelle: Registerauszüge aus dem KB Alt Rüdnitz)
Vermutungen:
Die Bezeichnung „Invalide“ weist darauf hin, dass Johann Michael Herse als Verwundeter vom Militär entlassen worden war und in Alt Glietzen als „Materialwarenhändler“ lebte. Dort lernte er seine Frau kennen. Die enge Verbindung der Menschen aus Niederwutzen, Hohenwutzen und Altglietzen war trotz des „Neuen Oder-Canals“ nicht abgerissen, wie die Geschichte der Brücke von Hohenwutzen belegt. Nach der Geburt von Henriette sind sie dann wohl nach Alt Rüdnitz gezogen, wo Caroline geboren wurde.
Es gibt zwar keinen Beweis dafür, dass Johann Michael Herse in Alt Glietzen geboren ist, weil ich ihn in dem Kirchenbuch auch nicht gefunden habe, aber ich halte es für sehr wahrscheinlich: Johann Michael Herse könnte durchaus in Alt Glietzen geboren sein.
Zu den Schreibvarianten der Familiennamen Heise/Heese/Herse siehe den Beitrag zu Hohen Wutzen.